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Blaues Wunder im Test: Ford Focus RS

Jan 10, 2018 Featured, Ford, News, Tests

Kindheitstraum

Wer die Kinder zur Schule bringen und Ferraris preiswert den klappengesteuerten Doppelauspuff zeigen möchte, ist im RS hart, aber herzlich willkommen.

Die wahren Käufer dieses Kompakt-Sportlers wurden nicht erst im sterilen Schauraum, mit jenem Virus infiziert, den bei Ford sonst nur der Mustang einimpft. Sondern schon früher, in einem Moment der unterbrochenen Stille.

Foto: Robert May
Foto: Robert May

Ins Gedächtnis des Schreibers brannte sich eine Mitfahrt in Kindheitstagen ein, im damals ersten Focus mit dem Zusatz RS.
Ich war mir nicht sicher, ob der alternde, aber deswegen nicht minder ambitionierte Ex-Rennfahrer am Volant an den Glücksgefühlen Schuld hatte, oder doch der als Familienauto verkappte Sportwagen, in dem ich als Knirps kaum über die Armatur blicken konnte.
Übrigens schon damals ein Markenzeichen: Die Recaro-Schalensitze – für alle, die ihm äußerlich die Rallye-Gene nicht glauben wollten.
Foto: Robert May
Foto: Robert May

Die DNA

RS für Rallye-Sport: 30 Modelle mit dem schnellen Kürzel und großen Spoilern am Heck hat uns Ford in den vergangenen 49 Jahren beschert. Einen Focus bei der Rallye hat man schon lange nicht mehr gesehen, da herrscht heute Fiesta!
Hatte vor 15 Jahren der viel zu früh verunglückte Colin McRae noch seine Finger im Spiel, so ist es heute Drifter und Rallycrosser Ken Block. Charakter verleiht man dem Focus RS per Tastendruck neben dem Schaltknauf: Normal (aber was heißt schon normal?), Sport (wenn die Bandscheiben noch können), Rennstrecke (nicht im Parkhaus probieren) und Drift (er kann auch Heckantrieb).
Ich könnte jetzt von den knackig-kurzen Schaltwegen, der Launch Control, der beheizbaren Frontscheibe, der Ladedruckanzeige über der Mittelkonsole oder über die hellblau-lackierten Bremssättel von Brembo erzählen.
Aber: Wie alltagstauglich ist dieses Kaugummi-blaue Spielzeugauto?

Foto: Robert May
Foto: Robert May

Mehr Boost als Eco

Während der RS bisher ein reiner Dreitürer war, gibt’s ihn jetzt ausschließlich mit fünf Türen. Das macht ihn länger (4,4 Meter), insgesamt größer (235 Liter Kofferraumvolumen) und unkomplizierter, wiewohl die Türen kleingeraten sind. Dasselbe trifft auf die Seitenspiegel zu; der Schulterblick ist unverzichtbar.
Leistungstreiber ist ein Turbo-Vierzylinder-Benziner. Mithilfe eines Twin-Scroll-Turboladers und größerem Ladeluftkühler darf der 2,3l-Eco Boost im Focus RS satte 350 Pferde loslassen, der Verbrauch bleibt bei unserem Test so kaum unter neun Litern.

Foto: Robert May
Foto: Robert May

So viel Power lässt sich mit Frontantrieb nicht mehr sinnvoll verwalten, irgendwann gehen da auch den besten Ingenieuren die Ideen aus. Das neue Motto: Die Zukunft des Frontantriebs ist Allrad.
Das 4×4-System leitet bis zu 70 Prozent des Drehmoments nach hinten und verteilt die Kraft mittels zweier Lamellen-Kupplungen nach rechts oder links. Im Extremfall gelangen so bis zu 100 Prozent an das jeweilige kurvenäußere Rad – damit fährt sich der Focus wie ein Hecktriebler, aber ohne übermäßige Gefahr von Übersteuern.

Frohnatur

Im Stadtverkehr verhält sich der „Schießer“ verhältnismäßig ruhig und unauffällig, wenn man sich für eine der schicken Grau- und Schwarz-Abstufungen entscheidet oder für das schlichte Weiß – für unseren Testwagen in „Nitrous Blue“ gilt das weniger.
Im Alltag kann man ihn auch familiengerecht handzahm bewegen; trotz seiner brachialen Leistung brabbelt er angenehm durch die Gegend. Wagt man es, das Gaspedal anzutippen, röhrt und schnalzt es von einem Moment auf den anderen aus den Endrohren.

Foto: Robert May
Foto: Robert May

Erhöht man die Reisegeschwindigkeit wird’s 1.) lauter und 2.) für die Passagiere zu einer Belastungsprobe in Sachen seitlicher Gravitationskräfte. Selten waren sich Autotester so einig:
Die Geschwindigkeiten, mit denen man sicher und ohne Haftungsverlust um die Kurven ziehen kann, sind eine Wucht. Die Rückmeldung an Hintern und Hände ist perfekt.
So dirigiert man zielgenau durch Stadt und Land. Während andere Autos mit Spurhaltesystemen den Fahrer vor Unaufmerksamkeit schützen, ist hier mehr das Grobe am Werk. Über unebene Autobahnstraßen springt der RS förmlich – beim Geradeausfahren behält man also besser die Hände am Lenkrad.
Mit 47.350 Euro liegt er zehn Tausender unter seinen direkten Konkurrenten; ist aber auch 18.000 Euro teurer als ein Focus ST.
Achtung: Die Strafzettelgefahr ist nicht zu unterschätzen – mit seinen 350 PS und dem erdenden Allradantrieb spielt der Ford Focus RS eine Klasse höher als etwa Golf R oder Civic Type R.
Foto: Robert May
Foto: Robert May

Technische Daten

Motor: Vierzylinder-Benziner, Direkteinspritzung, Turbo
Hubraum: 2.261 ccm
Leistung: 350 PS (257 kW) bei 6.000 U/min.
Drehmoment: 470 Nm bei 2.000 U/min.
Höchstgeschwindigkeit: 268 km/h
0-100 km/h: 4,7 Sekunden
Verbrauch: 7,7 l auf 100 km
Testverbrauch (Durchschnitt): 8,9 l auf 100 km
CO2: 175 g/km
Getriebe: Sechsgang manuell
Reifen: 235/35 R19
Kraftübertragung: Allrad
Fahrwerk: vorne McPherson, hinten Mehrlenker
Bremsen: Scheiben, vorne innenbelüftet; ABS, ESP
Leergewicht: 1.508 kg
Tankinhalt: 62 l
Preis: 47.350 Euro
Preis des Testwagens: 52.630 Euro